Rundbrief Juli 2021

Zur eigenen Mitte finden

Als die junge japanische Tennisspielerin Naomi Osaka bei den diesjährigen French Open ihre Depression thematisierte, tat sie genau das Richtige für ihr Lebensgefühl. Die dunkle Seite der eigenen Innenwelt zu öffnen, bietet unseren Mitmenschen einen Blick in unser Verborgenes an. Der Schweizer Psychiater C.G. Jung hätte Naomi Osaka vermutlich in ihrem Verhalten bestärkt. Ihm wird ein Wort zugeschrieben, das manchen seelisch Leidenden auch heute noch aufmerken lässt: „Die Depression ist gleich einer Dame in Schwarz. Tritt sie auf, so weise sie nicht weg, sondern bitte sie als Gast zu Tisch und höre, was sie zu sagen hat.“ Es geht um die Auseinandersetzung mit dem bedrückenden Leidenszustand, um das Heraustreten aus dem inneren Schattenraum oder – wie es der Psychiater Kuiper über seine eigene Depression schreibt – um die „Seelenfinsternis“ aufzulösen.

Den Sinn für das eigene Leben gefunden zu haben, gleicht einem Edelstein, der im Seelentresor ruht. Wenn der Zeitstrom jedoch den innerlich ungefestigten Menschen mitreißt, droht ihm die Aufforderung, seine Lebensbindung neu zu überdenken und zu gestalten.

Dabei kann ihm eine veränderte Fragestellung helfen, wie es der Schweizer Psychiater Daniel Hell in seinem Buch „Welchen Sinn macht Depression?“ darlegt. Er schreibt: „Die Wozu-Frage muss von der Warum-Frage sorgfältig getrennt werden. Die Ursache (eines Leidens) zeigt eine Wirkung, der Sinn erschließt einen Zusammenhang…Wer aber nur nach dem Warum fragt, wird nie einen Sinn finden.“ Einen ähnlichen Gedanken drückt Viktor Frankl aus, indem er sagt: „Sinn kann nicht erzeugt, sondern nur gefunden werden.“

So ist es auch nicht möglich, die eigene Wesensmitte rational zu erfassen. Sie kann weder durch Psychotechniken eingeübt, noch durch autohypnotische Strategien prognostiziert werden.

Es ist vielmehr die Verbindung zu unserer Innenwelt, die uns erspüren lässt, dass wir uns in unerschütterlicher Geborgenheit befinden. Nicht aus der Lebensbalance geworfen zu werden, an psychischen Störungen nicht zu zerbrechen, sondern dem Anstürmen des Alltäglichen zu widerstehen, gelingt uns am ehesten, wenn uns ein starkes Selbst trägt. Daher ist es wertvoll, zu wissen, wie es um die eigene Persönlichkeit steht. Wer an der Peripherie seines Lebenskurses lebt, erscheint in der Tat wie ein geistiger „Leerkörper“. Häufig vermitteln  Führende in Machtpositionen den Eindruck, außerhalb und in Unkenntnis einer Wesensmitte zu leben. „Das Unbewusste der machthungrigen Menschen ist der Ort der erlebten Leere. Innere Leere kann man im anderen nicht erkennen, wenn man selbst leer ist.

Man sieht nur das äußere Erscheinungsbild und vermeidet damit, sich der eigenen Leere stellen zu müssen.“

Arno Gruen

Die kritischen Zeiten, in denen wir augenblicklich leben, halten dennoch ein Angebot bereit, zu uns selbst zu finden, uns also tiefer zu begegnen. In unserer geistigen Arbeit wartet die Chance für den Einzelnen, einen Aufbruch zu einem neuen Selbstverständnis zu wagen. Denn ein Mensch, der seine Mitte gefunden hat, strahlt Ausgeglichenheit und Besonnenheit aus. 

Der Zeitgeist aber benötigt gerade heute diese seelische Reife, von der dauerhaft sein Überzeugungsvermögen lebt. 

Seit nunmehr fünfzig Jahren begeben sich vor allem Führende in unsere Obhut. Wir dürfen sie stets aufs Neue begleiten. So sind vertrauensvolle Beziehungen herangewachsen, die auch durch die Pandemie nicht erschüttert wurden. 

Zitat aus unseren Seminarinhalten

Wenn man Dinge nicht als das erkennt, was sie sind, sondern ihnen eine andere Bedeutung gibt, dann erzeugt das Leiden.“

Suzanne Segal

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