Rundbrief Februar 2023

Verschmutzung im Wesensinneren

In einem Interview über das seelische Verletztsein eines Volkes zeichnet der Philosoph Peter Sloterdijk ein knappes Psychogramm dieses Traumas. Er sagt: „Russland, um ein Beispiel zu nennen, ist ja ein einziger großer Friedhof, in dem seit hundert Jahren die Unbegrabenen der Oktoberrevolution und der beiden Weltkriege spuken. Man kann auch Putin nur als Spuk-Phänomen einordnen. Der Mann ist ja nicht verrückt, er ist gespenstisch, ein Delegierter aus den Grüften einer unendlich verlustreichen lokalen Geschichte. In ihm kommen die Toten des russischen Reiches und der Sowjetunion zurück und reklamieren ihre historisch offenen Rechnungen.“

In der Tat ist Verschmutzung ganz in der Tiefe der Seelengruft angesiedelt. Sie ist Ausdruck

einer kranken Seele! Aus ihrer düsteren Innenwelt steigt das sittlich Bedenkliche empor, das vor sich selbst durch einen allgegenwärtigen Skeptizismus seinen Selbstwert aufrechterhält. Nicht zuletzt – wie mehrere Autokraten auf dieser Welt verkörpern – verbreitet die Aura des seelisch Erkrankten stets eine bedrohliche Atmosphäre, die sich anmaßt, die Autonomie eines Volkes zu ignorieren.

Ohnehin gilt ganz allgemein: „Die Sucht nach Macht zerstört die Seele.“( A. Gruen ) Diese Erfahrung bestätigen nahezu alle Leidenden, auch in unserer Privatsphäre. Weltweit jedoch inhaftieren und töten kranke religiöse Führer alle um Mündigkeit Ringenden. Die intoleranten Verfechter einer Herrschaftsideologie betreiben eine entmenschlichte Politik. So wird ihre Destruktivität zum Ausdruck einer systematischen Bestrafungs- und Vernichtungsstrategie. Auf diese Kultur, die Leiden als Schwäche definiert, wurde der Einzelne biographisch aufbereitet. So wird die Nicht-Identität zum fundamental eingetrübten Selbstverständnis des außengesteuerten Mitmenschen. Sein Feinddenken gebiert seine Handlungsantriebe.

Die Verschmutzung ist in ihren Interaktionen transitiv, sie jagt und verletzt das sie Umgebende rücksichtslos und verharrt in dieser Verhaltensdimension, weil sie von dieser unersättlichen Dominanz lebt. (Gier kennt ja keine Grenzen, sonst würde sie an ihrem unerschöpflichen Wesen verenden.) Die (charakterliche) Verschmutzung hat ein Gesicht. Es ist die Dekadenz, die Entfernung und Entfremdung von der eigenen psychischen Tiefenstruktur. Diese Störungen des Seelischen lassen unser Lebendigsein häufig verstümmelt erscheinen. So spiegelt die Verschmutzung die Fehlentwicklung des Seelischen wider als die bedenkliche Erschütterung einer geistigen Autonomie, die Verformung und gar die „Zerrform“ in der Wahrnehmung unserer Alltagsrealität. Sie meint die morbid gewordenen Wesenszüge einer Gesellschaft und eines Einzelnen. Sichtbar geworden im geistigen Belagerungszustand zwischen Lethargie und Aggression.

Wo eine Gesellschaft das Psychopathische und mit ihr im Geleitzug das Äußerliche kultiviert, dort versperren wir uns den Zugang zur wahren „Tiefensensibilität“. Es scheint, als würde die Angst vor uns selbst diese kollektive Fahnenflucht „zur Normalität erheben…und den Blick in das reale Leben wie eine Krankheit“ behandeln.(frei zit. nach Arno Gruen) Gleichsam als Gegengift gegen den parasitären Seelenschmutz meldet sich der Kirchenlehrer Augustinus mit der Ermahnung zu Wort: „Beherrschen, was uns beherrschen könnte, und in unseren Besitz bringen, damit es uns nicht beherrscht“. Nicht nur Augustinus, sondern auch viele unheilige Schreibapostel der Neuzeit, die mit ihrer aktuellen „Bergpredigt“ an die vielgepriesene Fassade anklopfen, schauen jedoch nur in ein hohles Persönlichkeitsgebilde.

Denn: In unserer neurotischen Kaverne lauert gespannt das Gehabtwerden, überschattet von den schlechten Gewohnheiten, die das Leben mit mancherlei Verführungskünsten in uns implantiert hat. Oft plagen uns daher die misslungenen Selbst-Entwürfe, mit denen wir uns der unliebsamen Gewöhnung zu unterwerfen beabsichtigen. Erst die Erlösung vom eigenen narzisstischen Selbst – nach manchem schizophrenen Kampf – ist es, die unsere Auseinandersetzung mit dem persönlichen Inneren heimisch werden lässt.

Eines unserer Lebensziele dagegen sollte es sein, eine Kulturgestalt zu werden. Sie zeichnet sich aus durch die schöpferische Treue im Umgang mit den Postulaten und Werten, die uns das Leben vor die Füße wirft. Als Kulturgestalten haben wir in unserer Wesenstiefe Werte internalisiert, die manche Erscheinung des problematischen Alltags zur Harmonie transformieren. Hierher gehört z. B. jegliche Form von Empathie; aber auch eine weitgehend konfliktfreie Dialogkultur verleiht uns als Kulturgestalt eine neue Realität, eingebettet in die tragische Würde unseres Daseins.

Schließlich spürt die Kulturgestalt, dass ihre Autonomie das Offensein für verantwortliches Handeln anbietet. „Die Angst vor der Autonomie und vor der Freiheit, ein eigenes Selbst zu haben“ (A. Gruen) hingegen, hemmt auch die Beziehung zur eigenen Körperharmonie.

Häufiger trägt die Verschmutzung auch ein ideologisches Gewand. Diese Heuchler geben sich ein menschliches Antlitz und spiegeln der Welt einen fürsorglichen Habitus vor. Doch unter dem Deckmantel des vermeintlich Mitmenschlichen brodeln neidvoll die Residuen des Minderwertigen. Zwar gelingt es den Sozialgiganten, ihre karitativen Geborgenheitsangebote

materiell und spirituell zu vermarkten. Die „Adepten der Nächstenliebe“ jedoch können mit diesem Tun selten ihre innere Leere füllen. Unsere Gefühlswelt braucht dauerhaft eine innere Ordnung, womit sie einem existenziellen Lebensanliegen das Tor öffnet. Von unserem Selbst getrennt zu sein, lässt uns auch die Realität kalt und fremd erleben.

Deshalb ist die ehrliche Selbstreflexion der Zugang zu unserem authentischen Befinden, das unseren Lebensrahmen mit einer neuen Identität ausstattet.

Zitat aus unseren Seminarinhalten:

„Erst die konfliktfreie Innenwelt kann wirkliche Energie bereithalten.“

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