Rundbrief Mai 2020

Verwundbarkeit und Leidensfähigkeit

Das „Land des Lächelns“ ist ein armseliges Gebiet. Dort wird nicht wirklich gelacht, und seine erstarrte Freundlichkeit löst Ängste aus, die das Zwischenmenschliche als eine gefühllose Anwesenheit erleben lassen. „Immer nur lächeln und immer vergnügt“ zu sein, blendet den Blick für die eigene Innenwelt. „Und niemals zeigen sein wahres Gesicht“ – ist wie die aufgeputzte Maskerade des Clowns, der seine wahre Lebensrealität verbirgt. Doch wen das Leben erschüttert, der wird in seinem ganzen Empfindungsvermögen erfasst.

So schreiben die beiden Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter und Erik Erikson der reifen menschlichen Persönlichkeit Merkmale zu, die oftmals den hedonistischen Zeitgeist zu mancherlei Widerspruch reizen. Sie sagen, dass der Mensch gelernt haben möge, seine Zerbrechlichkeit zu akzeptieren, Schmerzen durchzustehen, die Tragfähigkeit für Leiden und für das Trauern entwickelt zu haben, und die Sterbeangst auszuhalten. Und schließlich bildet Arno Gruen das psychoanalytische Triumvirat, indem er den persönlichen Innenraum als Wohnstatt der emotionalen Selbstentfaltung beschreibt. Doch auch er beklagt: „Wer sein Leben nicht lebt, fälscht es unbewusst, weil Schmerz, Leid und Schiffbruch in unserer Kultur mit Schwachsein gleichgesetzt werden…Unsere Gefühle der Unzulänglichkeit, der Hilflosigkeit, des Leidens, der Verzweiflung und der Angst werden als Schwächen eingestuft, sie müssen geradezu verneint werden…“ (Zitiert aus „Dem Leben entfremdet“, Klett-Cotta).

Die Krankheit, nicht verwundbar zu sein und nicht leiden zu können, treibt den neurotischen Profilierungszwang in eine entseelte Lebenslandschaft. In diesem Erstarren seiner Wesenszüge vollzieht sich das Entsetzliche, nämlich allem Empathischen die Atemluft abzuschnüren. Wer aber sein Menschsein nicht emotional begreift, wer den Zugang zu seinem Schmerz verloren hat, ist ein Opfer seines abstrakten Selbstverständnisses geworden. Ihm bleiben nur die bewundernden Lobgesänge über den technischen Fortschritt. Es ist ein peinlicher Irrtum, zu glauben, dass mit der technischen Evolution auch das Menschliche gereift sei. Der homo technicus spürt leider nicht, dass er in einer reduzierten Selbstwahrnehmung gefangen ist, die seine seelische Entfremdung verstärkt und an den Rand der Identitätslosigkeit drängt. Der kalte, mechanistische Archetyp, den z. B. die Romangestalt von Max Frischs „Homo faber“ verkörpert, hat sich ganz in die Welt des Berechenbaren, des rational Messbaren vergraben. Seine Angst vor eigenen und fremden Gefühlen zwingt ihn dazu, sich am Kognitiven zu orientieren und sich an das Kontrollierende als rettendem Lebensprinzip zu klammern. „Deshalb macht das Seelische gerade auch Menschen Angst, die alles nur rational begreifen und bestimmen wollen.“ (Daniel Hell)

Wo das Emotionale in den seelischen Kinderzimmern abgespalten wurde, füllt in den späteren Jahren oftmals die Macht den unbesetzten Innenraum. Machtorientierte Menschen halten sich für unverwundbar, weil ihnen ihr narzisstisches Kreisen um sich selbst ein Gefühl von einmaliger Größe verleiht. Sie ignorieren das Leidvolle ihres Lebens, weil ihr Empathieverlust es ihnen gebietet und sie deshalb bei sich selbst kein Leid und beim Mitmenschen auch kein Mitleid(en) zulassen können. Auch deshalb dürften machtbesessene Führende nicht den Anspruch erheben, eine reife Persönlichkeit zu sein! Ihre angstvolle Unerreichbarkeit kultiviert ein falsches Selbst, das die Maske des Souveränen aufgesetzt hat, um sich ein authentisches Profil zu verleihen. Einzig Betroffenheit und quälendes Unbehagen als Krisenbegleiter vermögen ein Neubegreifen zu initiieren, aus dem unbeholfene Gefühlsregungen hervorlugen können. Durch sie vollzieht sich der Wandel von der Verachtung alles Leidvollen hin zu würdevoller menschlicher Nähe.

Da wir uns in unseren Veranstaltungen auch dem persönlichen Überzeugungsvermögen widmen, begleiten und stützen wir den Einzelnen oftmals im Prozess seiner Identitätsentwicklung.

Zitat aus unseren Seminarinhalten

„Ein Wandel der Denkweise ist das erste, was vollzogen werden muß, wenn der Zustand der Welt geändert werden soll.“ (Paul Brunton)

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