Rundbrief Oktober 2022

Seelischer Selbstverrat – Über Blender und Heuchler

Wenn katholisch erzogene Kinder zur Beichte aufgefordert werden, bricht in ihnen oftmals die Mauer ihres angeborenen authentischen Selbst ein. Denn das Drängen einer autoritätsbezogenen Erziehung scheut nicht den Verrat am seelisch Originären. Wichtiger erscheint wohl, den Geboten mit Gehorsam und Anpassung zu folgen. So entsteht das falsche Selbst, so verlieren wir unsere wahre Identität. Sie lässt den seelischen Makel einer Entfremdung von uns selbst in uns aufbrechen. Dagegen kann nur jener ein autonomes Leben führen, der in seiner Wesenstiefe verankert ist. Denn letztlich bietet uns die unverfälschte innere Welt die Echtheit des in uns Gewordenen an.

Das trifft auf das Psychogramm des Heuchlers nicht zu. Denn Jesus gar geht mit den Heuchlern hart ins Gericht, wenn er droht: „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer! Ihr Heuchler…Ihr seid wie die weiß getünchten Grabstätten. Von außen erscheinen sie schön, aber innen ist alles voll stinkender Verwesung. Genauso ist es bei euch; Ihr steht vor den Leuten als solche da, die Gottes Willen tun, aber in Wirklichkeit seid ihr voller Auflehnung und Heuchelei.“ Darin zeigt sich der morbide Charakter des Heuchlers, von einer fortwährenden Verstellung angenagt zu sein, die eine aufrichtige Reue vorgaukelt, in Wahrheit aber die „reißenden Stimmen der Wölfe“ aufheulen lässt.

Das hypokritische Gebaren ist zeitlos. Bereits um das Jahr 41 v. Chr. beschrieb der Historiker Sallust Catilina als einen „frechen und hinterlistigen Geist, der fähig ist, alles zu erheucheln und zu verbergen“,“…ein Meister jeglicher Heuchelei und Verstellung“. Und der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim spottet in einem seiner Aphorismen folgendermaßen: „Die Laster stritten, wer von ihnen am eifrigsten gewesen sei, dem Bösen auf der Welt zu dienen; den Preis erhielt die Heuchelei.“ Die Symbolgestalt für alles Heuchlerisch-Lügenhafte schließlich, die bis heute die Theaterlandschaft zum Nachdenken bringt, ist der Betrüger „Tartuffe“ in der Komödie des gleichnamigen französischen Dichters Molière. 

Wo ein Mensch nicht zu sich selbst steht, gefährdet er seine seelische Geborgenheit und Gesundheit. Nur wenige wirtschaftlich und politisch Mächtige allerdings entheben sich ihrer Dominanz und wandeln im Gefühl des Desillusionären, wenn es ihnen nur den wahren Einblick in sich selbst gewährt. So sehr ermuntert sie der Griff nach der Macht, dass sie ihren verloren gegangenen  Selbstwert kompensieren möchten. Die Geburtsstunde des Blenders erscheint wie ein Gefängnis, aus dem er für sein weiteres Leben nur schwer auszubrechen vermag. Fortan sind Scheinheiligkeit und Unaufrichtigkeit seine Begleiter. Im Sog der Selbstmanipulation lauert die permanente Versuchung, die Fassade seiner Persönlichkeit mit immer neuen Girlanden zu schmücken. So werden Täuschung und Selbstbetrug zur bedeutendsten Realität des Blenders. Der Psychoanalytiker Arno Gruen spricht im Hinblick auf die Heuchelei von einem gestörten Selbstbezug, in dem „Hass und Destruktion, nicht jedoch wahres Wohlwollen und Anmut vorherrschen“.

„Warum“ – so fragen wir uns, prägen die Unterwürfigkeit und unechte Demut das Persönlichkeitsbild zahlreicher religiöser und politischer Repräsentanten? Nun, wer heuchelt, leidet an einem Identitätsverlust. Auch seine Ethik verkündet eine Gottesbeziehung, die „falsche Götter“ erhöht und den Kultgeweihten ihren spirituellen Raum versperrt. Gerade gegenwärtig, wo die Religiösen ihre Kämpfe austragen, bieten die institutionell-gesegneten Blender ihre geistliche Ware wie Allzwecktücher an. Der spirituelle Diskurs ist noch nicht zu Ende. Die Heuchler blasen zur Jagd; ihre Scheinheiligkeit löst die historischen Regeln ab. Die seelischen Störmuster bleiben.

Zitat aus unseren Seminarinhalten:

„Gelebte Authentizität bewahrt uns vor Täuschung und Betrug“.

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