Rundbrief Februar 2015

Kulturbruch

Oftmals geben die Buchstaben eines Wortes Auskunft über die emotionale Qualität seiner semantischen Botschaft. So ermahnt ein „Psst!“ zu besonderer Ruhe; vermittelt ein „Hui!“ den Schwung einer Bewegung. Ein „Blabla“ lässt meistens das Langweilige und Phrasenhafte einer sprachlichen Darbietung erkennen?

Und was verbirgt sich aus ethischer und psychologischer Sicht hinter dem Begriff „Kulturbruch“?

Zunächst sei ein Blick auf jene rhetorische Stilfigur geworfen, die nach der Lehre über die Beredsamkeit der griechischen Antike ein besonderes Wertprofil besitzt. Mit der „Onomatopoiia“ (Schreibweise nach dem Philologen Wilfried Stroh) ist die lautmalende Wortbildung gemeint. Am lautmalerischen Geschehen sind vor allem die Vokale mit ihrem Aufklingen sinngebend beteiligt. Wenn wir den sprachästhetischen Empfindungen des Frühromantikers und Philosophen Novalis (1772 – 1801) nachspüren, so finden wir in einem seiner empathischen Spracherlebnisse folgenden Gedanken: „Wer ein feines Gefühl der Sprache, ihres musikalischen Geistes hat, wer in sich das zarte Wirken ihrer innern Natur vernimmt und danach seine Zunge oder seine Hand bewegt, der wird ein Prophet sein.“

Gewiss, Sprache ist ein nicht immer ergründbarer, doch häufig enthüllender und offenbarender Schlüssel zum Lebensgefühl des Mitmenschen. Aber schon in der lautmalenden Wortbildung gibt sich das in ihm emotional Verborgene zu erkennen. Aus der Tiefendimension des scheinbar nur formalen Redeschmuckes („oratio ornata“) steigt ein plötzliches Bekennen des Autors auf, an dessen Befinden sich die Mitmenschen geistig und seelisch beteiligen dürfen. Die Vokale eines Wortes durchbrechen gleichsam den Zaun der Konsonanten und bieten sich im Klang des Gesagten oder Geschriebenen dem kommunikativen Geschehen dar.

Dabei ist das Wort kein willkürlich ausgewähltes Zeichen, sondern die bewusste Annäherung an das Seinshafte, an das wirklich Erlebbare. Sprache ist Bindung an das Bewusstsein und an die emotionale Schöpfung, die sich in ihren kreativen Akten ereignet.

Im Wort und Begriff „Kulturbruch“ nun spiegelt sich jedoch weit mehr wider, als nur ein lautmalerisch dunkles und dumpf erstickendes „u“ es auszudrücken vermag. Vielmehr breitet sich vor dem geistigen Auge und Ohr des Zeitgenossen eine Dimension aus, in der sich die semantische Worttiefe mit einem ethischen Notstand verbindet. Im Kulturbruch schlechthin manifestiert sich ein Auseinanderbrechen ehemals gültiger Wertbeziehungen, die dem Einzelnen für einige Zeit Lebensorientierung und sittlichen Halt gegeben haben. Denn „Kultur“ meint in ihrem ursprünglichen Verständnis noch immer die verantwortungsvolle Bewahrung und Pflege von Anvertrautem. „Kultur ist vor allem anderen eine gemeinsame Lebenspraxis; es geht um die Maßstäbe für die Art, wie wir sehen, fühlen, urteilen und handeln.“ (Udo Di Fabio) Mit dem Kulturbruch dagegen geht ein Verlust von Geborgenheit und Zuversicht einher. Mit würdig Anerkanntem gebrochen zu haben, bedeutet oftmals, auch die Hoffnung auf etwas Nachahmbares, geradezu Idealisierbares verloren zu haben. Kulturbruch – das ist die schrille Dissonanz zwischen Verkündetem und wirklich Gelebtem, die klaffende Wunde am Körper einer Gesellschaft. Weil Kultur Lebensstil und Lebenssinn ist, deshalb ist der Kulturbruch im Leben des Einzelnen eine Erfahrung, die meistens seine Desorientierung begründet.

Ein wichtiges Anliegen unserer Veranstaltungen ist es daher, die Persönlichkeit des Teilnehmenden zu einer tieferen Begegnung mit den eigenen Wesenszügen, zu noch mehr Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu führen. Wer seine Identität gefunden hat, ist innerlich stabil genug, um den Gefahren seelischen Zerbrechens wirkungsvoll zu widerstehen. Einen Aufbruch zu einem neuen Lebensverständnis zu wagen, bedeutet deshalb auch, die eigene Seelenlandschaft vor einem Kulturbruch zu bewahren. Den selbst gewählten Handlungsprinzipien treu zu bleiben, bestimmt die sittliche Geradlinigkeit eines Menschen. Wer seine Selbstachtung entwickelt und bewahrt hat, trägt das Fundament für die mitmenschliche Akzeptanz in sich. Darin vor allem aber zeigt sich die wahre Überzeugungsfähigkeit und Führungskompetenz der Repräsentanten von Politik, Wirtschaft und Kirche.

Zitat aus unseren Seminarinhalten

„Mit dem Heraustreten aus Vergangenem beginnt der Aufbruch zu einem neuen Lebensverständnis.“

Weitere Rundbriefe

Die Stille im Denken

Neun Monate ist es inzwischen her, dass Baldur Kirchner, der Begründer unseres Instituts, verstorben ist. Neun Monate, in denen wir ...

Traurige Nachricht

Leider müssen wir Ihnen heute die traurige Nachricht überbringen, dass Baldur Kirchner am 17. April im Alter von 83 Jahren ...

Verschmutzung im Wesensinneren

In einem Interview über das seelische Verletztsein eines Volkes zeichnet der Philosoph Peter Sloterdijk ein knappes Psychogramm dieses Traumas. Er ...

alle Rundbriefe

Kontaktieren Sie uns

Wir helfen gerne weiter

Sandra Dombrowski

Sandra Dombrowski

Leiterin Seminarorganisation

info@kirchner-seminare.de

0821 - 99 88 30 85

Wir sind Montag bis Donnerstag von 8:30 bis 17:00 Uhr für Sie da.

Standort

Kirchner-Seminare GbR

Zeugplatz 7

86150 Augsburg

Ihre Nachricht an uns