Zu den Neologismen des vergangenen Jahrhunderts gehört auch das Wort „Entgrenzung“. Es meint, zunächst ganz allgemein, jemanden aus seiner Begrenztheit – nicht zuletzt in der Arbeitswelt – zu befreien. Im psychologischen Sprachgebrauch wird unter Entgrenzung oftmals ein Bestreben der menschlichen Persönlichkeit verstanden, sich über – vor allem fremdgesetzte – Normen zu erheben und sich dadurch eine Erlebniswelt zu erschließen, die dem „Grenzverletzer“ eine neue Bedürfnisbefriedigung beschert.
In seiner sozialpsychologischen Studie „Der entgrenzte Mensch – Warum ein Leben ohne Grenzen nicht frei, sondern abhängig macht“ spricht der Tübinger Psychoanalytiker Rainer Funk, der Hüter des Gedankengutes von Erich Fromm, für den zeitgenössischen Menschen eine ernsthafte Warnung aus. Er schreibt, die meisten Menschen begrüßten die Entgrenzung als einen weiteren Schritt hin zu grenzenloser Freiheit. Zwar werde die Verleugnung und Verleumdung alles dessen, was begrenzt ist, scheinbar mit mehr subjektiver Freiheit erkauft, doch all das wirke, so Funk, wie ein „Doping der Seele, es hat die Funktion einer Droge, und wie diese auch macht es abhängig“.
Für Menschen aber, die sich ernsthaft der sorgsamen Pflege ihres eigenen Seelenlebens widmen, gilt die Maxime, dass ein Leben letztlich nur dann gelingen kann, wenn es innerhalb akzeptierter Grenzen verläuft. Für eine gigantomanisch-narzisstische Persönlichkeit dagegen ist die globalisierte Welt zu einer weiträumigen Heimat geworden. Die immer neu postulierten Wachstumswünsche wecken eine Anspruchshaltung, die das Lebensgefühl des Einzelnen mit einer zwanghaft-kranken Maßlosigkeit füttert. Wer seine Grenzen nicht kennt, lebt über seine Verhältnisse! Im Grenzenlosen verliert sich der Mensch, verkümmert seine Selbstwahrnehmung, ist sein Selbstbezug gestört. Oftmals sind seelische Erkrankungen, wie etwa die Depression, der Aufschrei und Notruf gegen dieses Verlorengehen.
Die Akzeptanz und Beobachtung von Grenzen manifestiert sich im Zwischenmenschlichen des Alltags in besonderer Weise. Wer bei sich selbst keine Grenzüberschreitungen zulässt, bewahrt seine eigene Autonomie. Wer die Grenzen des Anderen respektiert, begegnet ihm mit Würde.
Grenzkonflikte im Dialogischen belasten die kommunikativen Beziehungen oftmals erheblich. So erscheint es z. B. als wichtig, seine eigenen Redeanteile zu begrenzen; aber auch die Grenze zum Partner durch permanentes Ins-Wort-fallen nicht zu durchbrechen. Es ist ein Zeichen von empathischer Höflichkeit, kritische Gesprächsinhalte in eine angemessene Wortwahl zu kleiden.
Schließlich bedeutet auch das Neinsagen-Können zu psychischen Übergriffen und sich gegen dominante Interventionen zu wehren, seiner Eigenwürde die notwendige Geltung zu verschaffen. Letztlich hat es stets etwas mit dem Schutz des seelischen Innenraumes im Ich und im Du zu tun, Begegnungen durch Verletzung der eigenen und fremden Grenzsphäre nicht bedrohlich werden zu lassen.
Mit diesen und weiteren Überlegungen zur Entfaltung der Persönlichkeit beschäftigen wir uns intensiv in unseren Veranstaltungen. Wer für sein Führungsverhalten eine vertiefende Anleitung zur Selbstreflexion anstrebt, kann die folgenden gedanklichen Angebote in Anspruch nehmen.
Zitat aus unseren Seminarinhalten
„Erst in Grenzerfahrungen beginnt die menschliche Persönlichkeit, sich selbst zu begreifen.“