Rundbrief Juni 2015

Gesundheitsprophylaxe

Die menschliche Persönlichkeit ist ein Beziehungswesen. Sie lebt zuerst von der Beziehung zu sich selbst und von den Werten, die sie in ihrem Inneren wahrnimmt. Doch sie lebt auch – und nicht zuletzt – von den Beziehungen zum Mitmenschlichen, von dem sie Zuwendung, Anerkennung, Geborgenheit und Hilfe empfängt. Ein Mensch ist seelisch krank, wenn er den Kontakt zu seiner Wesenstiefe verloren hat. Er ist ebenso psychisch gestört, wenn seine sozialen Bindungen verkümmert oder gar unentwickelt geblieben sind.

Ein sehr bedeutendes Ziel erzieherischer Begleitung ist es daher, in der kindlichen Seele eine Beziehungskompetenz heranzubilden. Die aktuellen Forschungen der Neurobiologie belegen, dass schon die frühen Beziehungserfahrungen, getragen von Anerkennung, Beachtung und Bestätigung der jungen Persönlichkeit, das Motivationsgeschehen im Gehirn besonders aktivieren. Hingegen lässt ein fortwährend erlebtes Beziehungsdefizit den Menschen krank werden. Die Krankheitsbilder manifestieren sich z. B. in psychosomatischen Erscheinungen, in pathologisch gewordenen Ängsten, in depressiven Persönlichkeitszügen und nicht zuletzt in einem vom Burnout-Syndrom bedrohten Lebensgefühl.

Nach einem im Jahre 2013 veröffentlichten OECD-Bericht ist der Konsum vor allem von Antidepressiva stark gestiegen. Ist es die Flucht aus der gegenwärtigen in eine andere Realität? Ist es die Suche danach, sich selbst im engen Raum der Ängste und Depressionen doch noch zu finden? Ist es das Mütterliche der Ohnmacht, der kranken Seele „im Strudel negativer Gedanken“ („DIE ZEIT“) noch einen letzten Ruheplatz anzubieten? Der Theologe Udo Manshausen schreibt in seinem Buch „Seelengefährte“, dem Enthoffneten zum Trost, Folgendes: „Wer eine Krise durchlebt, wird erfahren, dass es an einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt einen Blickwinkel mit einer zarten Perspektive gibt. Diese fühlt sich fast an wie Zuversicht. Doch auch in solchen Situationen wird das Schmerzliche seine Wirkung nicht verlieren, obwohl etwas Neues im Inneren der Seele zu reifen beginnt.“

Zwar sind Gehörlosigkeit und Blindheit schwerste Behinderungen für einen Menschen und binden ihn an das ständig Krisenhafte seines Lebens. Warum aber werden Gefühlskälte (Empathieverlust), Psychoterror und religiös-ideologischer Fanatismus kaum als Formen seelischer Schwerstbehinderung bewertet und interpretiert? Gibt es nicht auch täglich tausende psychischer Morde im Weltgeschehen? Wo finden sich Angebote zur seelischen Stabilisierung dieser fundamentalen Persönlichkeitsstörungen?

Umso mehr bedürfen Führungskräfte aller Disziplinen – wo auch immer sie in Erscheinung treten – der besonderen seelischen Gesundheitsvorsorge! Denn ihre kontinuierliche geistige und seelische Persönlichkeitsbildung wird zum Fundament für eine menschlich wertvolle Führungskultur. Darin zeigt sich ihre Beziehungskompetenz, indem sie das Hierarchische mit einer weitgehend angstfreien Perspektive und mit sittlicher Besonnenheit verbindet. „Eisiger Intellektualismus“ (Paul Brunton) und unterkühlte Rationalität brauchen eine unbefangene Intuition, brauchen eine leidenschaftliche Inspiration. Über beide Erlebnisweisen geschieht letztlich der Aufbruch zu einem tiefen Ergriffensein vom Wert des eigenen Lebensauftrags.

Wir laden alle geistig interessierten Führungskräfte zu einem offenen Dialog ein, mit uns über den wahren Sinn von Persönlichkeitsbildung – gerade in der Gegenwart – zu sprechen.

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