Rundbrief Mai 2018

Entfremdung in digitalen Lebenswelten

Die Nähe zu sich selbst ist wohl die engste Beziehung, die ein Mensch eingehen kann. Denn im Nahesein bei sich selbst erkennt der Mensch nicht nur seine Gedankenwelt, sondern noch mehr spürt er, welches Lebensgefühl ihn erfüllt oder beherrscht. So wird ihn z. B. das Selbstvertrauen zu weiteren Handlungen beflügeln, während der Schatten der belastenden Gefühle seine Lebenslust mit Angst oder Minderwertigkeit verdunkeln kann. Auch wenn das gegenwärtige Zeitalter ständig nach Digitalisierung sucht und ruft, wird sich die Moderne weiterhin dem emotionalen Anspruch der menschlichen Persönlichkeit beugen müssen. Auch die Digitalisierung muss die Lebensdevise beachten: Ohne emotionale Geborgenheit erkrankt eine Gesellschaft und Entfremdung breitet sich aus!

Was meint nun „Entfremdung“ wirklich?

Anlässlich des diesjährigen 200. Geburtstages des Philosophen und Protagonisten der Arbeiterbewegung, Karl Marx, könnte man geneigt sein, den Begriff „Entfremdung“ vorwiegend als einen sozio-ökonomischen Terminus aufzufassen. Diese inhaltliche Determination gilt zwar noch immer; denn die moderne Industriegesellschaft läuft weiterhin Gefahr, die menschliche Arbeitskraft zu einem Objekt wirtschaftlicher Interessen zu degradieren (So kritisiert etwa auch die Wertethik die Auffassung, dass der Mensch allein für die Arbeit da sei). Doch Entfremdung meint im Sinne der psychologischen Betrachtung einen Beziehungszustand, der dem Einzelnen den Verlust seiner Bindung an sich selbst erfahren lässt. Im Fremdwerden seiner eigenen Persönlichkeit bricht eine Nicht-Identität auf, die in ihren Auswirkungen das Lebensverständnis weitgehend bestimmt. Für den Psychoanalytiker Arno Gruen (1923-2015) stellt sich der Prozess des Fremdseins, den er in seinem Buch „Der Fremde in uns“ behandelt, so dar: „Menschen unterdrücken das Eigene. Sie verwerfen ihre eigene Sicht, ihre Empathie, ihre Empfindungen, weil man ihnen beigebracht hat, dass diese verachtenswert, idiotisch, minderwertig sind. Man hat ihr Eigenes zum Fremden gemacht, für das sie sich schämen und das sie deshalb abspalten und bestrafen müssen. So wird unsere Menschlichkeit zum Feind, der unsere Existenz bedroht und der überall – in uns selbst wie auch in anderen – bekämpft und vernichtet werden muss.“

Mit dieser Prägung der Persönlichkeit geht ein Verlust des Empathischen einher, „so dass wir uns immer mehr von jeder gefühlten Wirklichkeit entfernen“ (Arno Gruen). Bemerkenswert ist hierbei, dass sich der Maßstab der vermeintlichen „Größe“ so mancher Führungsgestalt verschiebt und sie in ihrem Ansehen schrumpft. Wo Führende das Kognitive kultivieren, bleibt kaum innerer Raum für Mitfühlendes; wer in sein eigenes leeres Selbst schaut, strebt nach Größe und Ansehen, um seine Seele vermeintlich zu erhöhen. Der Arzt und Kulturphilosoph Max Picard (1888-1965) charakterisiert den seelischen Zustand des „Menschen von heute“ als ein „zusammenhangloses Durcheinander“. Die Gefahr der Entfremdung und des seelischen Verlustes sieht er in jener Diskontinuität, in der nur das „Augenblickshafte“ gilt.

Instagram, Snapchat & Co. tragen mit ihrer eigenen Logik des Augenblicks zur Entfremdung bei. Sie suggerieren eine Nähe zu Anderen, die uns innerlich erschöpft. Denn die wahllosen Bilder und Infoschnipsel, die uns über die digitalen Kanäle erreichen, sind in Gänze kognitiv wie emotional nicht zu verarbeiten. Auch die Unmöglichkeit, handelnd einzugreifen, lässt uns stumm zurück. So erleben viele die Digitalisierung als einen „Kontrollverlust“, wie Karl Marx frühzeitig über das wirtschaftliche System mutmaßte.

Einfache Auswege aus dieser Misere gibt es nicht. Sich digital völlig enthaltsam zu zeigen, wäre naiv bis fahrlässig. Doch Lebensräume zu schaffen, in denen man sich selbst die Chance gibt, eine Selbstwirksamkeit herzustellen, etwa indem man sich inspirierende Aufgaben setzt, schaffen Nähe zu einem selbst.

Neues Seminar: Resilienztraining

Die großen Nachrichtenagenturen titelten in den vergangenen Tagen: Immer mehr Arbeitnehmer werden wegen Überlastung krankgeschrieben. Die Anzahl der Fehltage hat sich seit dem Jahr 2012 um etwa 50% erhöht. Die Ärztevereinigung Marburger Bund sagt sogar: „Arbeit macht mehr krank als früher!“

Endlose Abstimmungsrunden, ständige Erreichbarkeit, vielzählige Entscheidungsoptionen: Die Welt dreht sich deutlich schneller als früher. Und viele Menschen fühlen sich heute mehr gestresst und gehetzt als je zuvor. Als Antwort darauf bieten wir ein in der Reihe unserer Seminare zum Thema Achtsamkeit nun ein neues Seminar an:

„Ich bin im Stress – Resilienztraining und Stressmanagement für den beruflichen Alltag“

Leiten wird dieses Seminar Frau Dr. Judith Brenneis, die als Gesundheitsexpertin auf viele Jahre Erfahrung bei Stressbewältigung und persönlichem wie auch betrieblichem Gesundheitsmanagements blicken kann.

Neben grundlegenden theoretischen Gedanken zu Stress, Gesundheit und Resilienz führt Frau Dr. Brenneis viele Übungen durch, die die Teilnehmenden nach dem Seminar befähigen, mit ihrem persönlichen Stress wesentlich gelassener umzugehen.

https://www.kirchner-seminare.de/rhetorik-seminare/individualisierte-angebote

Zitat aus unseren Seminarinhalten

„Verwandlung kann nicht in der Zukunft liegen. Sie kann sich nur von Augenblick zu Augenblick ereignen.“

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