Rundbrief Juni 2019

Einer redet, die anderen tippen: Die Gesichter der Sucht und Ignoranz

Sie sitzen und stehen mit gesenkten Häuptern, als wären sie meditativ in das Rosenkranzgebet versunken. Sie scheinen vergessen zu haben, dass die Kommunikation mit dem Leben mehr von ihnen erwartet, als sich dem digitalen Schutzpatron Smartphone zu weihen. Sie, die digitalen Jünger, sind mit „Sexting, Sextortion, Cybermobbing und Cybergrooming“ in der sittlich fragwürdigen Welt des Smartphones angekommen. Vor allem Jugendliche, so berichten Pädagogen und Polizisten, toben sich in den sozialen Netzwerken mit ihren unreifen Phantasien und trüben Wunschprojektionen aus. Damit nistet sich eine neue Erlebnisweise in das Tagesbewusstsein ein, die sich wie eine Epidemie ausbreitet. Die meisten von uns halten sich täglich mehr und mehr in der Medienwelt auf, ja, was noch bedenklicher erscheint, die Medienwelt hält uns gefangen. Viele Menschen verlieren sich in dieser starren Kunstwelt, weil sie die Kontrolle über sich selbst verloren haben. Es liegt nahe, bei einem Kontrollverlust, bei einer zusammengeschrumpften psychischen Autonomie, auch an ein Suchtverhalten zu denken. Sucht meint stets die pathologische Seite eines Gebundenseins. Auch deshalb hat sich der Ulmer Hirnforscher und Psychiater Manfred Spitzer erneut mit den Einflüssen des Digitalen auf die Lebensbeziehungen des heutigen Menschen beschäftigt. Aus dem Smartphone-Hype ist eine „Smartphone-Epidemie“ – so der Titel seines neuesten Buches – geworden. Zwar sind auch die gesundheitlichen Folgen der Smartphone-Sucht beträchtlich; Desinteresse und Verachtung des Mitmenschlichen, bösartige Verletzungen durch Hass und vernichtende Drohgebärden jedoch bilden noch mehr die seelisch dunkle Seite des digitalen Zeitalters. Sie wird umso finsterer, je mehr und je häufiger sie die kommunikativen Angebote ignoriert, die Sprechende in den Parlamenten und anderen politischen und wirtschaftlichen Gremien vortragen. Einer spricht, und die anderen tippen auf ihren Handys, Smartphones oder Tablets herum. Vielen zeitgenössischen Rednern und Gesprächspartnern schlägt eine kalte Gleichgültigkeit der Anwesenden ins Gesicht, deren Aufmerksamkeit sie gar nicht zu sehen bekommen, weil sie ihrer digitalen Besessenheit verfallen sind und keinen Blick mehr auf das um sie herum Interagierende werfen können. Der französische Philosoph André Glucksmann (1937 – 2015) bezeichnete einmal die Gleichgültigkeit dem Menschsein gegenüber als ein „großes Verbrechen“. Diese moderne Gleichgültigkeit mit ihrem unbeseelten Habitus zeigt die neurotische Seite einer vermeintlich „offenen Gesellschaft“. Das Reizvolle einer Rede, die sprachliche Eigenart und die persönliche Würde des Sprechenden werden von einer sozialen Arroganz erniedrigt, die das Niveau der Netzsüchtigen als geistig-stupid erkennbar werden lässt. Die Smartphone-Manie mit ihrer zwanghaften Umklammerung erstickt jegliche menschliche Nähe. Gewiss mögen sich auch dringende Botschaften des Tagesgeschehens in die Zeitspalten mancher Agenda einschleichen und so den Zuhörer bedrängen. Doch die Trägheit des Gewohnten lässt uns Heutige immer wieder dem eingeübten Lebensmodus in die Arme fallen. Worin nun besteht der Aufbruch zu einer neuen Repräsentanz des Bewährten, zu einer Einkehr und zum Niederlassen in fruchtbare Seelenlager? Es gilt, eine Plattform der persönlichen Verantwortung und der Kontrolle über die digitalen Angebote zu errichten. Zu einer „Ethik des Digitalen“ (Steinmeier) aufzubrechen, meint, sich innerlich auf den Weg der mitmenschlichen Wertschätzung zu begeben. Eine kommunikativ intakte Gesellschaft kann auf eine offene Dialogkultur nicht verzichten. Sprechen, Anschauen und Zuhören bleiben deshalb die geradezu „archetypischen“ Säulen sozial niveauvoller Begegnungen.

Zitat aus unseren Seminarinhalten

„Das Verstehen ist wie ein Gebirgsbach, der zwischen den Felsen hindurchbricht, hervortanzt und sich seinen Weg bahnt. Wenn Verstehen dämmert, bahnt es sich seinen Weg durch dein Leben, es wandelt Einstellungen, Haltungen und Gewohnheitsmuster.“ (Vimala Thakar)

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