Rundbrief Januar 2020

Die Feigheit des Vulgären – Hassgebaren in der digitalen Welt

Die forensische Psychiaterin Nahlah Saimeh hat bereits mit ihrem Buchtitel „Ich bring dich um!: Hass und Gewalt in unserer Gesellschaft“ (Verlag Ecowin) das Menetekel einer allgegenwärtigen kollektiven Schizophrenie gezeichnet. In der Einleitung schreibt sie: „…Aber Hass und das Gutheißen von Gewalt spalten die Gesellschaft und wenden sich grundlegend gegen das Leben.“

Hass ist ein psychisches Phänomen. Es meint einen seelischen Zustand, in dem Gewalt lauert. Sie entlädt sich vor allem, wenn das Destruktive unser Lebensgefühl beherrscht. Dann wird Gewalt zur handelnden Kraft, die von der Lust am Verletzen und Vernichten besessen ist. „Die Tiefenpsychologie hat uns gelehrt, in dem, wodurch wir uns bedroht fühlen, uns selbst, einen verdrängten Teil des eigenen Wesens zu sehen. Darum sind Hass und Selbsthass oft identisch.“ So lauten die Überlegungen des Philosophen Robert Spaemann. ( 1927 – 2018 ) Und er bemerkt weiter: „Hass ist deshalb mörderisch, weil der Hassende sich oder das, womit er sich identifiziert, nicht nur durch Handlungen des anderen bedroht sieht, sondern durch dessen Existenz.“ (Zitiert aus „Der Haß des Sarastro“)

Die digitale Welt, die wie die Kälte in unsere Lebensbehaglichkeit eingedrungen ist, scheint den Drohgebärden psychisch belasteter Zeitgenossen einen neuen Auftrieb zu geben. Denn die Digitalisierung – bei allem Verbundensein durch die sozialen Medien –  öffnet auch die seelische Dunkelkammer, aus der der angesammelte Konfliktunrat ausströmt. So erleben wir in den täglich ausgespuckten Vulgarismen, dass inzwischen in unserem gesellschaftlichen Ganzen die latente Sucht nach Destruktivem den sadistischen Appetit anreizt: Verleumdungen, soziale Erniedrigungen, intrigante Gelüste, gezielte Mobbingattacken, Morddrohungen und ähnliche psychische Perversionen holen sich den Applaus der Feigheit, der im Schatten der Anonymität prachtvoll gedeiht! Das Vulgäre präsentiert seine kranken sprachlichen Kinder und zeigt ihnen die Hassräume, in denen das geistige Gift sprudelt. Viele geistige Heckenschützen haben ihre Plattform gefunden!

Wer in einer hasserfüllten Seelenstimmung lebt, hat das Einswerden mit sich selbst noch nicht erfahren. Seine zerklüftete Innenwelt verbaut ihm eine Sinnperspektive, die ihm Lebensgeleit geben könnte. Die Flucht in die Feigheit dagegen ist ein Akt der Selbstentwertung, weil sie ein wichtiges Geschehen des seelischen Reifens, die offene Konfrontation, scheut und häufig amputiert. Die entwürdigenden Hassparolen sind daher oftmals die einzigen Bekundungen eines psychischen und sozialen Unbehagens, zu denen der neurotische Mensch fähig ist und sich in ihnen widergespiegelt findet. Und beinahe unbemerkt, weil zunächst nicht auf Anhieb diagnostizierbar, treiben auch Neidgefühle in den digitalen Kanälen ihr heimtückisches Unwesen. Hass und Neid sind emotional missratene Geschwister. Sie treiben unser Innenleben um, wenn das Sichtbare nicht zum Erreichbaren wird. Der neidische Mensch leidet unter dem Mißachtetwerden, dem Zukurzgekommensein, unter Verlusten jeglicher Art, die seinen Selbstwert erheblich erniedrigen. In den Hassappellen durchbricht der Neid geradezu alles sittlich Gebotene und überschreitet etwa in den Angriffen auf das Weibliche gar jegliche Schamgrenzen. Neider gehen auf Strafexkursionen, die z. B. in den Twittersalven ihren Vollzug finden.

Die schlüpfrige Autorität der digitalen Welt wird auch weiterhin ihren Anspruch auf freie Meinungsäußerung postulieren. Doch nur wer sich selbst nicht fremd geworden ist, sein Selbst bewahrt hat, wird die kritische Distanz zu den verblendeten Hass- und Neidparolen aufrechterhalten können. Seine innere Geborgenheit wird ihn tragen und befähigen, allem Verletztwerden mit glaubwürdiger Souveränität zu begegnen.

Zitat aus unseren Seminarinhalten

„Der Feind, den man im anderen zu sehen glaubt, ist ursprünglich im eigenen Inneren zu finden.“ (Arno Gruen)

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