Die sprachliche Steigerungsspirale, mit der die Wertigkeit von Produkt und Mensch beschrieben wird, scheint sich gegenwärtig in eine geradezu neurotische Entgrenzung emporzuwinden. Da fliegt die „Premium Economy Class der Lufthansa“ durch die Atmosphäre; das „Premium-Antriebssystem für EBikes von Continental“ hilft zu rascherem irdischen Fortkommen; die „Premium-Tarife von T-Mobile, Vodafone und E-Plus“ ermuntern zu mehr elektronischer Kommunikation; die „Premiumdepots einiger Banken“ verhelfen zu vorzüglicheren Gewinnen; und „Das Lehmbruck-Museum ist jetzt Premium Location der FSGG“. Schließlich breitet sich in so mancher innerbetrieblichen Bewertungslandschaft sogar die Bezeichnung „Premium-Team“ für besondere Leistungen aus. Nach „Premium“- Gesichtspunkten werden Kunden klassifiziert und somit in soziale Kategorien eingestuft, von denen weitere Umgangsformen abhängen. Von den Premium-Biersorten und den Premium-Automobilen gehen ohnehin schon seit Langem beglückende Impulse in die Herzen und Märkte der Verbraucher aus.
In vielerlei Hinsicht also ist das „Premium- Symptom“ mit seiner kollektiven Präsenz inzwischen gesellschaftlich institutionalisiert als ein Indikator für das Bestreben nach Spitzenleistung und Erstklassigem. Trägt dieses profilsüchtige Treiben aber nicht schon die Züge des Verflachten, gar Morbiden in sich? Zu Recht wählte der „Stern“ vor einiger Zeit die Artikelüberschrift „Premium-Trick“, um den manipulativ-suggestiven Charakter vieler Marktstrategen zu entlarven. Wenn beinahe alles Angebotene „Premium“ ist, scheint der Verlust des Besonderen kaum noch aufhaltbar zu sein. Was sich einstmals als hervorragende und beste Qualität manifestieren sollte, verschwindet nun, weil elegant profillos geworden, im anonymen Schlund einer ungeschminkten Sprachschablone! So wird das Einmalige und Ungewöhnliche, das ein Produkt ausgezeichnet hat, von einer hohl gewordenen Profanität unterwandert, die epidemisch in das geistige Dasein des Zeitgenössischen einsickert. In der Realität des Marktgeschehens pervertiert nunmehr das ständige Premiumdenken das wirkliche Qualitätsbewusstsein zu einer wenig originellen und vertrauenswürdigen Leistungsofferte.
Und was folgt nach der Premiumhysterie? Wo endet der Steigerungswahn einer elativen Hybris, die nur noch das vermeintlich am besten Gelungene kennt und anpreist? Das Paradoxe nimmt seinen Lauf: Die bis in weite Höhen gelobte beste Premiumqualität von Mensch und Materie mauert sich selbst in das anspruchsvoll Unsteigerbare ein und versperrt sich den Ausgang zu künftig noch glaubwürdigerer Attraktivität. Jede weitere Ankündigung über Qualität und Niveau muss daher beinahe im Pathologischen enden. Das aber bedeutet: Mit dem Nicht-mehr- Ernstnehmen des Verkündeten hat das Marktkonzept seine eigentliche Intention verwirkt. Es schafft sich seine eigene Begrenztheit und scheitert, wie ja alles Spekulative dauerhaft schon sein Scheitern in sich trägt!
Das Premium-Symptom offenbart allerdings noch mehr als nur den töricht einseitig formulierten Wunsch nach Marktbeherrschung und Werbegaukeleien. Es verdeutlicht die bedrohliche Tendenz, dass im Wertespektrum des Zeitgeistes vor allem dem Super, dem Darüber, dem Oben, dem Nachoben und dem Höchststreben eine besondere, oftmals auch die größte Bedeutung beigemessen wird. Wo sich z. B. Eltern durch ihre Vorzeigekinder, eben die Premiumkinder, in ihrem eigenen Selbstwert definieren, werden sich beim geringsten kindlichen Leistungsabfall Frustration und Ansehensverlust (Staehelin) einstellen. Dabei darf wohl jeder Mensch, also auch ein Kind, seine für andere unverfügbare Innenwelt bewohnen, um sich jenem Selbsterleben hinzugeben, das sich einem Leistungszwang entzieht!
Mit dem Premium-Symptom werden fremdinitiierte Erwartungen wach, die das persönliche Selbstverhältnis des Einzelnen stören und in seine innere Wesenseinheit einbrechen. In der beruflichen Welt verbirgt sich das Premiumdenken hinter einer viel beachteten und euphemistisch strahlenden Maske: der Motivation. Zu den Besten gehören zu wollen, ist zwar ein redliches psychogenes Ansinnen und deshalb weithin akzeptiert. Doch wahre Motivation begeistert sich an der Identifikation mit dem angebotenen Erlebnisinhalt und bleibt für lange Zeit als handlungsleitendes Bewusstsein bestehen. Motivation und Kontinuität sind friedliche Geschwister! Deshalb mutet es bedenklich, weil antiemotional, an, Motivation als einzuübendes Führungsprinzip zu propagieren. Es ist hinlänglich bekannt, dass sich sogenannte Motivationstrainer lediglich und bestenfalls als Zwei- oder Dreitagesfliegen über Wasser halten, weil sie wegen ihres populistischen Premiumgebarens den ernsthaften und seriösen Zuhörer ohnehin nicht überzeugen können.
Persönlichkeitsorientierte Arbeit hat sehr viel mit innerem Wachstum zu tun. Sie scheut das Aufdringliche und narzisstische Beachtetwerden. Für viele Interessierte bedeutet dies zunächst eine neue Sichtweise, sich mit dem eigenen Fremdbild vertraut zu machen. Dies geschieht möglichst in einem angstfreien Begegnungsraum. Sich dagegen von höchstem Premiumzwang bedrängen zu lassen, schadet der Individualität erheblich, weil sie das Originäre der Persönlichkeit mit fremden Erwartungshaltungen überschattet und einem unaufgeforderten Bekehrungswillen unterwirft. Anthropotechnische Methoden gehören nicht zu unserem ethischen Berufsverständnis! Vielmehr ist es unser Bestreben, einen Weg für den aufbruchsbereiten Menschen, für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zu einem möglicherweise neuen Selbstbegreifen zu ebnen. Dazu bieten wir neben den Seminaren unsere persönliche Gesprächsbegleitung an.